Was dieser Platz alles war-Rückblick auf ein Klimagerechtigkeitscamp

Klimagerechtigkeitscamp am Marienplatz, 5. Juni-28. Juli 2022

Design ohne Titel
von Ena Fölz
vom 09.01.2023

Ende Dezember 2022. Ich stehe auf dem Marienplatz, neben dem Lüneburger Rathaus. Vor mir ist ein unscheinbarer Parkplatz zu sehen, wie es ihn millionenfach gibt; ein Viereck, auf dem verwaiste Autos vor sich hin stehen. Nur ein etwas zerzaustes Hochbeet, bunt angemalt und mit einer herausragenden Kartoffelpflanze, die im Wind hin und her schaukelt, erinnert noch daran, was dieser Platz mal alles war für viele Menschen. Ein Ort, an dem fast täglich Konzerte, Workshops und andere Veranstaltungen stattfanden; ein Treffpunkt und Lernort; ein Rückzugsort; manchmal sogar ein Zuhause. Ich bin 2021 über das damalige Klimacamp im Kurpark im dauerhaften Camp im Marienplatz gelandet und habe es dieses Jahr von Februar bis Ende Juli gemeinsam mit einer kleinen Gruppe wunderbarer Menschen organisiert.

Jetzt, wo auch das Zukunftsstadt-Projekt auf dem Marienplatz beendet und die Teststation abgebaut ist, sieht der Marienplatz schmerzhaft austauschbar aus. Es macht mich traurig, ihn so zu sehen; nicht wegen der Autos (dann könnte ich ja nirgends langgehen), sondern weil so wenig Leben auf dem Platz ist, den ich mit so viel Leben, Gesprächen, Lachen, Weinen und "für's Klima laut sein" verbinde.

Vielleicht ist es an der Zeit, mal daran zu erinnern, wie so ein Platz auch genutzt und wozu er umgestaltet werden kann: zu einem Begegnungsort für Menschen statt eines Abstellortes für Autos. Mit Sitzgelegenheiten, Pflanzen, Kunst, Musik und einer Offenen Bühne (BühFA-Bühne für Alle); einem Ort an dem miteinander voneinander gelernt wird.

Klimacamp, Vortrag LaWi-Woche
Vortrag in der Themenwoche Agrarrevolution
Info Zelt
Infozelt

Mein Eintrag aus dem Klimacamp-Tagebuch:

"Warmes Sonnenlicht scheint durch die Fenster-Folien des großen Wohnzeltes.
Bücher und Schreibblöcke liegen auf dem Laminat, ein Stift rollt die Rollstuhl-Rampe hinunter auf den kreidebemalten Asphalt. Es ist Vorlese- und Schreibtreffen und manche malen auch. Vorne im Infobereich stehen mehrere große Holzaufsteller von denen uns teils gigantische Tiefseelebewesen anschauen--die Tiefsee-Ausstellung von Greenpeace macht in der Ozean-Themenwoche zusammen mit mehreren Workshops auf das Thema Ozean und Klima aufmerksam. Wir haben bereits mit Stop Finning Deutschland e.V. "Shark Water" geschaut, im Liebesgrund und am Stint Müll eingesammelt, haben uns in einem interaktiven Workshop mit Vincent mit indigenen Perspektiven auf das Thema Tiefseebergbau beschäftigt und danach nochmal gezielt mit den Fakten und dem aktuellen Stand dazu im Greenpeace Workshop. Die Lüneburger Schrotttrommler*innen haben mit ihren Rhythmen die Leute vom Marktplatz zu uns geschwemmt und mit Frieda und der Töpferei "Keramik3PunktF" haben wir danach handgetöpferte To(n)Go Becher gestaltet."


So vielfältig und unterschiedlich die Programmwochen (sh unten) auch waren, sie hatten alle etwas gemeinsam: es waren, vielmehr sind, allesamt Themen, die schwer zu verdauen sind, die viel zu groß scheinen um sie irgendwie auf den Punkt zu bringen und die eigentlich dafür sorgen, dass man sich unendlich hilflos fühlt. Wie soll ich verhindern, dass die Nationen des globalen Nordens den globalen Süden ausbeuten, dass sie riskieren, das Ökosystem Ozean unwideruflich zu verändern und zu zerstören, indem sie 2023 mit Deep Sea Mining starten ohne annähernd abschätzen zu können, was die Auswirkungen davon sind; wie sollen wir noch darauf hoffen, dass die Bundesregierung wirklich handelt, was die Klimakrise betrifft, wenn scheinbar alles, was die Klimagerechtigkeitsbewegung die vergangenen 3 Jahre getan hat, auf taube Ohren stößt?
Doch sie an einem solchen Ort gemeinsam anzugehen, mit Protest, Kreativität, Aufklärungsarbeit, Bildungsarbeit und Präsenz darauf aufmerksam zu machen, zusammen mit Menschen, die ihrerseits auch so unterschiedlich sind und doch so viel Energie und so viel von sich selbst darein stecken, dieses Camp zu einem Ort gelebter Utopie zu machen... Das alles sorgt dafür, dass die Zeit dort trotz der heftigen Themen irre viel Freude machte und Kraft gab.
Nicht immer: manchmal war der sogenannte "Mach's möglich-Plan"(es hat ziemlich lange gedauert, einen so nett klingenden Namen für den Schichtplan zu finden) erschreckend leer und da wir 24/7 zu mindestens 2 Personen vor Ort sein mussten, um das Versammlungsrecht zu wahren, verbrachten Menschen auch zuweilen deutlich mehr Zeit im Camp als geplant, was immer wieder zu Frustration führte. Dasselbe war im Jahr zuvor auch der Fall gewesen und manchmal machte es mich traurig, dass trotz der relativ großen Gruppe doch irgendwie immer die gleichen üblichen Verdächtigen das Camp hielten, welches ein Ort für uns alle war.

Doch es gab auch das gegenteilige Bild: ich erinnere mich, wie ich einen sehr miesen Tag hatte und erschöpft rüber ins Camp lief, um kurz zu schauen, ob alles okay war; und vor Ort war so eine wunderbare leichte Atmosphäre und so viele Menschen, die sich teils beim Essen unterhielten, teils an ihren Laptops Uni-Sachen erledigten, teils oben auf einer Leiter balancierten um unser Banner wieder am Baum zu befestigen; und statt 10 Minuten blieb ich 6 Stunden und lag dann spät abends auf dem Rücken auf der halbfertig gebauten BühFA (Bühne für Alle) und lauschte 2 Menschen, die abwechselnd eine Geschichte vorlasen-mal mit plattdeutschem, mal mit thüringischem Dialekt.

Denn so schwer es manchmal auch ist, in einer kleinen Gruppe 8 Wochen lang ein Klimacamp aufrecht zu erhalten, so sehr merke ich jetzt auch manchmal, wie es mir fehlt, jederzeit an einen Ort gehen zu können, an dem ich stets Menschen finde, "die allzeit zum Banner malen bereit sind", die mit mir in einem Moment einen Text über Fracking schreiben und im nächsten barfuß über den großen gemusterten Teppich tanzen. Oder einen Ort, an dem man sich jeden Tag mit Passant*innen und Besucher*innen über das Klima unterhalten kann; mal gibt es Applaus, mal Kritik, mal Vorurteile, doch dass miteinander geredet wird und es so einen offenen Austauschraum gibt, ist so wertvoll; und in einem Klimacamp geht das sehr viel besser als bei einer Demo oder lauten Aktion, weil man sich die Zeit nehmen kann.

sokü  im Klimacamp

Überhaupt haben uns das Heinrich-Böll-Haus, JANUN Lüneburg, sowie Avenir und Anna&Arthur riesig unterstützt; genaugenommen die gesamte Katzenstraße und viele Andere in der Stadt. So hat uns JANUN Lüneburg unterstützt mit Finanzen und einigen der Seminare, mit den Kopfhörern für die Silent Disco, dem Fahrradbus und Lastenrädern; im Anna&Arthur durften wir die Küche nutzen für unsere große SoKü (solidarische Küche), wir haben vom Mosaique und DGB Bänke ausleihen können; Keramik3PunktF hat uns die handgearbeiteten Becher geschenkt; im Zickengarten konnten wir uns über den Winter treffen und einige Sachen unterbringen und ohne den WirGarten und den Stadtjugendring hätten wir nie unsere Zelte und Möbel transportiert bekommen. Und ohne das Wohnprojekt Räume und die Pfarrgemeinde St Marien hätten wir keine Zelte gehabt. Die Liste ließe sich noch ewig ergänzen; um sie nicht zu lang zu machen, fasse ich es zusammen mit: einen Riesendank an Alle, die das Camp dieses Jahr unterstützt haben, an die Gruppen und Einzelpersonen, die das Programm gestaltet und soviel Kreativität, Bildungsangebote und Mitmachmöglichkeiten eingebracht haben; und ein ganz besonderes Danke an alle Aktivisti, die das Camp organisiert, auf- und abgebaut und mit Leben gefüllt haben.

"Am meisten ist mir unser Sokü-Abend in Erinnerung geblieben. Es ist einfach immer wieder schön zu sehen, was man mit vielen Händen und einem guten Netzwerk auf die Beine stellen kann und dass wir über 50 Menschen mit super leckerem (hauptsächlich gerettem) Essen versorgen konnten, hat mich richtig glücklich gemacht." so Berit vom Klimagerechtigkeitscamp. "Da denke ich, neben unseren anderen Themenwochen und Aktionen voll gerne dran zurück."

Tiefsee-Ausstellung, Greenpeace
Tiefseeausstellung und Workshop, Greenpeace
Gespräche auf der BühFA
Gespräche auf der BühFA

Dies waren die Themenwochen:

6.-11.06.🎪Soziale Utopien leben

Wie gestalten wir utopische Räume und setzen uns mit Visionen auseinander?
Eine Woche zum Ausloten der eigenen Zukunftsträume und Konfrontation mit Freiraum und Grenzen.

– – –12.-18.06.🌊Ozeane – Rising with the Oceans – zur Themenwoche… (also in english)

Verseuchte Meere, bedrohte Tiefsee, gefährdete Küsten. Von Tiefsee-Bergbau, bedrohter mariner Artenvielfalt und warum die Meere für das Klima und uns lebensnotwendig sind.

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19.-25.06.👣Flucht & Migration –

Auch Ressourcen-Kriege und Klimaveränderungen zwingen Menschen dazu ihre Heimat für immer zu verlassen. Wir wollen zu einem Bewusstsein dieser Zusammenhänge globaler Ungerechtigkeit, unserer Verantwortung und dem Schicksal geflüchteter Menschen beitragen und den Raum für Betroffene öffnen.

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26.06.-2.07. 💸 Klimagerechtigkeit und Soziale Gerechtigkeit
Warum Eines ohne das Andere nicht möglich ist und die soziale Gerechtigkeits-und die Klimabewegung sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Dafür setzen uns u.a. mit pluraler Ökonomie und viel Antikapitalismus auseinander.

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3.7.-9.7. 🥁🎭🎨Kunst und Kultur im Aktivismus

Warum wir Kunst und Satire für den Aktivismus brauchen und Bilder manchmal mehr sagen als 1000 Politiker:innen

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10.07.-16.07. 🌱Landwirtschaft & Ernährungssouveranität

Lebensmittelsgrundlage und Biodiversität werden Global durch die Landwirtschaft gestaltet – und aktuell leider nur zu kleinen Teilen in einer vielfältigen Weise. Daher werden uns mit Besitz und Bodenqualität, Saatgut und Ernährungssouveränität sowie der Tierhaltung und diversen Anbausystemen auseinandersetzen!

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17.07.-23.07. 💧💡Wasser, Energie & Ressourcengerechtigkeit

Der Kampf um Ressourcen wird immer größer, genauso wie die globale Ungerechtigkeit. Allgemeingüter wie Trinkwasser werden immer knapper und doch gehandelt wie eine Ware. Wir thematisieren Fracking und tauschen uns gemeinsam aus mit der Anti-Atombewegung.
Es braucht Ressourcengerechtigkeit für alle.

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24.07.-27.07. 🦋Vernetzungstage—wie geht es weiter?

Raum für Austausch von und mit Gruppen: wo siehst du dich in den nächsten Wochen und Monaten? Mit wem hast du Lust deine nächste Aktion zu starten?

Handgetöpferte_TonGo_Becher_gestalten_im_Marienplatz_Camp_2022_
Handgetöpferte To(n)Go Becher gestalten
Schrotttrommler treten auf
Die Schrotttromnmer*innen treten auf
BühFA
BühFA-Bühne für Alle

Was ist das Klimagerechtigkeitscamp am Marienplatz?

Von Juni-Oktober im Wahljahr 2021, 104 Tage lang, stand das Klimacamp auf dem Marienplatz. Beim Abbau wurde besprochen, sich am 6. Februar 2022 wieder zu treffen und zu besprechen, ob und in welcher Form es das Camp nochmal geben könnte. Es brauchte viel Vorbereitung, damit dann am 5. Juni 22 wieder die Zelte auf den Marienplatz zurückkehrten.


Mit 46 Veranstaltungen -und zusätzlich etwa ebenso vielen Plena und Gruppentreffen -innerhalb von 8 themenspezifischen Programmwochen (bunt von interaktiven Workshops über Kunst und Aktionen, Film- und Vorleseabenden bis zu Podiumsdiskussionen und Konzerten), hat das Klimacamp am Marienplatz auch dieses Jahr kreativ, vielfältig und langanhaltend den Marienplatz, der sonst als Parkplatz für Autos dient, zu einem Begegnungsort für Menschen und einem Ort für Klimagerechtigkeit umgestaltet.

Mehr Infos findest du auf der Website des Klimacamps

und auf Lünepedia.

Und hier findest du auch Infos zum Klimacamp im Kurpark